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Etappe 13 – Heiße Sache

von
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Heiße Sache – Über einen bellenden Hund, ein brenzliges Abenteuer und gegrillte Auberginen

Vor zwei Tagen erreichte ich Amdāvād, der Hauptstadt von Gujarāt (die findet man häufiger unter dem Hindi-Namen Ahmadābād). Aus Gründen, die nur den Bus­­betreibern einleuchten, kommt man von Māuṇṭ Ābū ziemlich sinnfrei um zwei bis drei Uhr morgens an, was natürlich bei der Hotel­suche ein ziemliches Problem ist.

Im Billighotel-Quartier waren die meisten Etablisse­ments erwartungs­gemäß fest verriegelt, und nur die teureren leisteten sich den Luxus eine Nacht­portiers. Somit landete ich für vergleichsweise horrende 300 Rs (gut 4 €) in einem Zimmer mit Telephon, TV und Warm­wasser und faßte den Entschluß, möglichst rasch von dort wieder auszuziehen.

Tatsächlich: Bei Tageslicht ist alles einfacher, und gleich über die Straße bot mir der freundliche Manager des Hotel Vinus ein deutlich kleineres aber immer noch akzeptables Zimmer um 200 Rs an. Ich beglück­wünschte mich zum Umzug, aber die Wege des Karma sind unergründlich.

Um ca. drei Uhr – ich wollte gerade den Laptop zuklappen und schlafen – knallte es plötzlich gewaltig, und das Licht fiel aus. Gleich darauf hörte ich lautes Hundegebell. Mild alarmiert dachte ich an die in Gujarāt häufigen Erdbeben und daran, daß Tiere solche Ereignisse ja oft kurz vorher vorausfühlen, und lauschte angestrengt in die Dunkelheit.

Aber es ist nicht das Ohr, daß mir die nächste Alarm­meldung liefert. Stattdessen dringt ein brenzliger Geruch in meine Nase: Kokelnder Kunststoff, kein Zweifel. In der Dunkelheit greife ich nach der Hose. Ein Griff an den Gürtel, und die Taschenlampe liefert zumindest soviel Licht, daß ich mich anziehen kann. Ich öffne die Tür und blicke nicht ins Inferno, sondern in die Gesichter der anderen Hotelgäste, die bereits eifrig im Gang über das Ereignis diskutieren.

Die enge Treppe, die vom ersten Stock, wo Rezep­tion und mein Zimmer liegen, über einen Halb­stock gerade nach draußen führt, ist mittel­­prächtig verqualmt, aber Flammen sind nicht zu sehen. Da hinauszu­gehen, erscheint nicht geradewegs un­möglich, aber riskant: Im Qualm müßte man praktisch blind dahin­stolpern, da das Licht der Taschen­lampe reflektiert wird und daher nicht erleuchtet, sondern nur blendet.

In diesem Kasten mit elektrischen Leitungen hatte der Brand seinen Ausgang genommen

Während ich noch unschlüssig dastehe, meint einer der Inder zu mir „Go, go!“. Nun, die kennen sich sicherlich nicht schlechter aus als ich, und außerdem habe ich wenig Lust, alleine übrigzubleiben. Also schlurfe ich ins Zimmer und ziehe mir die Schuhe an (um sich Trekking-Schuhe anzuziehen, braucht man Licht, Konzentration und eine Minute. Ich hatte nichts davon.), klemme mir den Laptop unter den Arm und bin schon halb bei der Tür draußen, als sich jenes Gefühl verfestigt, daß mich (leider nicht immer) vor Unterlassungen warnt. Achja, richtig, der Geldgurt. In 10 Sekunden ist er umgeschnallt, und ich folge den Indern.

Sie laufen im mittlerweile deutlich verqualmten Stiegen­haus drei Stock­werke bergauf. Man spürt deutlich, wie Qualm und auch Wärme uns folgen. Schließlich erreichen wir eine Dach­terrasse. Die Inder haben offenbar nichts gerettet außer ihren Handies, die sie während der Flucht als Not­­beleuchtung nutzen, bevor sie dann am Dach alle hemmungslos zu telephonieren beginnen. Manche sind im Unterhemd, die meisten barfuß.

Ich blicke über die Brüstung nach unten. Wir stehen fast exakt über dem Eingang, und ich kann keinen Flammenschein sehen. War etwa alles nur blinder Alarm? Ein Blick ins Stiegenhaus genügt: Der Qualm ist nun sogar im vierten Stock so dicht, daß ich keine Lust habe, auch nur ein halbes Stockwerk nach unten zu recognoscieren. Gerade in diesem Moment taucht ein Inder mit seiner Frau aus dem Qualm auf. Auf den Gesichtern sind gleichzeitig typisch indische Gelassen­heit und ehrliche Erschöpfung zu erkennen, besonders die Frau schnappt nach Luft.

Was nun? Ein Blick zeigt mir, daß es zwar nicht ganz einfach, aber mit Hilfe durch Gegenüber durchaus möglich ist, die Dach­terrasse des Nachbar­hauses zu erreichen. Das beruhigt mich. Während die Inder telephonieren und die Passanten unten anschreien, überlege ich mir einen Allein­gang, aber plötzlich macht sich die Gruppe auf den Weg. Woher die Idee dazu kommt, ist nicht nachvoll­ziehbar, aber ich folge ihnen natürlich.

Vor mir kämpft sich die Frau damit ab, eine etwa einen Meter hohe Mauer zum Flachdach des Nachbarn zu überwinden; sie kann sich nicht an der Hand ihres Mannes hochziehen. Ich reiche den Laptop auf die andere Seite und biete ihr zunächst die Schulter als Stütze an; als das nicht funktioniert, ergreife ich sie schlicht und einfach am Ober­schenkel und unterstütze sie dort. Sie lächelt etwas gequält, läßt es sich aber gefallen. Auf der anderen Seite mache ich mich zunächst mal auf die Suche nach dem Typen mit dem Laptop, ehe der Abstieg beginnt.

Über ein paar weitere Korridore landen wir schließlich in der Lobby des (offenbar etwas teureren) Nachbarhotels. Von dort noch eine Treppe auf die Straße. Ein Rikśāfahrer steht auf der Straße und meint geschäftsf­reudig: “Where do you want to go, Sir?” Ich zeige ihm einen Teil meiner Anatomie.

Die nächsten zwei Stunden waren vom Warten gekennzeichnet. Die Feuerwehr (Motto: “We serve to save”) war bereits anwesend, hatte aber noch keinen Zugang zum Brand gefunden. Nach einiger Zeit bekannen sie, ein bißchen herumzuspritzen, machten eine Pause, suchten sich einen anderen Eingang, schlugen dabei ein paar Glasfenster ein und spritzen wieder ein paar Minuten herum. Ein gelangweilter Feuerwehrler fragte mich in einer Pause nach einer Zigarette. Er lacht, als ich auf den ersten Stock des Hotels deute.

Der Boden ist mit rußigen Glasscherben bedeckt

Zu diesem Zeitpunkt bedauerte ich bereits, den Laptop und nicht die Kamera mitgenommen zu haben. Ernsthafte Gefahr schien nicht (mehr) zu bestehen, aus den Zimmern im ersten Stock war auch nie Rauch gekommen, nur das Löschwasser begann mir Sorge zu machen. Gewässertes Gepäck? Bitte nicht!

Meine Leidensgefährten, im Unterhemd und barfuß, begannen mit mir zu plaudern. Einer, der ganz gut Englisch sprach, erklärte mir, er sei aus Surat aus geschäftlichen Gründen für einen Tag nach Amdāvād gekommen und habe die Adresse des Hotels aus dem Internet; er schien dem Hotelpersonal die Schuld zu geben. Ich erzählte ihm von meinem kostenmotivierten Umzug, und er schien vor Lachen zu platzen “Hundred rupees for the life, hahahaha!” In Indien ist der Begriff des „Auslachens“ unbekannt; man lacht immer miteinander, und das gemeinsame Lachen wird als befreiend empfunden. Ich finde das nicht taktvoll, mußte aber natürlich trotzdem mitmachen. Die Typen gratulierten mir zu meiner Geistesgegenwart, daß ich Schuhe, Laptop und Reisepaß mitgenommen hatte; welch ein Irrtum! Ich wäre ja völlig unfähig, auch nur einen Schritt ohne Schuhe zu gehen.

Ein Kübel Tee im Morgengrauen

Endlich durften wir wieder rein. Die Verwüstungen reichten nur bis zum Zwischenstock, der erste Stock war zwar noch ziemlich verraucht, ansonsten aber unbeschädigt. Mittlweile war es fünf, meine indischen Leidensgefährten hatten einen Plastikkübel voll Tee organisiert und so stießen wir auf den glücklichen Ausgang an, ehe die unvermeidlichen Erinnerungs­photos geschossen wurden. Danach begannen sie, einander die Kleidung zu beriechen: Der Brenz­geruch hatte sich dort richtig verfangen. “Baigan Bharta” kommentierte ich sachkundig, was brüllendes Gelächter auslöste. Um sechs Uhr ging ich schließlich schlafen.

Zu Mittag erklärte mir der Hotelmanager, daß er keine Ahnung hätte, wann der Strom wieder funktionieren würde: Er habe den Arbeitern ja 2000 Rs extra für schnelle Resultate gegeben, aber man wisse nie, immer dieses komische Personal, und außerdem sei es ja Samstag, und wenn bis heute abend nichts geschafft sei, dann werde es wohl bis Montag dauern. Natürlich sei das ganz unangenehm, da werde man ja ganz “out of business” getrieben.

Also checkte ich aus und zog zwei Minuten weiter in ein anderes Hotel ein. Es kostet auch 200 Rs die Nacht.

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